Das verschollene Reich by Michael Peinkofer

Das verschollene Reich by Michael Peinkofer

Autor:Michael Peinkofer
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
ISBN: 9783838719726
Herausgeber: Lübbe Digital (Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln)
veröffentlicht: 2012-10-11T22:00:00+00:00


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11

* * *

»Siehe, wie fein und lieblich es ist, wenn Geschwister einträchtig beieinander wohnen.«

Psalm 133,1

Königreich Jerusalem

April 1187

»Schwester?«

Es war dieselbe Kammer. Dieselbe Fensterbank, auf der Sibylla saß. Derselbe Innenhof, auf den sie blickte, um ihre von Sorge bedrängten Gedanken zu zerstreuen.

Und doch hatte sich alles geändert.

»Was willst du?« Unwillig wandte Sibylla sich um.

Isabela stand auf der Schwelle, ihre gedrungene Gestalt war durch den Schleier des Vorhangs zu erkennen. Anders als bei ihrer letzten Begegnung jedoch trat sie nicht ein, was Sibylla ein wenig versöhnlicher stimmte.

»Nur bei Euch sein, Schwester«, entgegnete Isabela mit leiser Stimme. »Nicht mehr und nicht weniger.«

»Um was zu tun?«, fragte Sibylla gereizt. »Dich an meinem Unglück zu weiden? Mich mit falschem Rat zu beschwatzen?«

»Wie könnte ich mich an Eurem Unglück weiden, wenn es doch auch mein Unglück ist?«, entgegnete Isabela. »Wie Euch falschen Rat geben, wenn unser geliebtes Königreich in Bedrängnis ist?«

Ohne auf Sibyllas Aufforderung zu warten, zog sie den Vorhang beiseite. Sie zögerte einen Moment, und erst als ihre Schwester ihr den Eingang nicht verwehrte, trat sie vollends ein.

»Ich habe erfahren, was geschehen ist«, gestand sie, während sie vorsichtig herantrat wie jemand, der sich einem verwundeten Tier näherte. »Ich weiß von dem Überfall auf die Karawane.«

»Wer nicht?« Sibylla lächelte schwach. »Schlechte Nachrichten pflegen sich im Palast wie ein Lauffeuer zu verbreiten.«

»Habt Ihr schon Kunde von Saladin?«, fragte Isabela weiter nach. »Er wird dieses Verbrechen nicht ungesühnt lassen.«

»Ach ja?« Sibylla bedachte sie mit einem geringschätzigen Blick. »Denkst du, mein Gemahl und ich wüssten das nicht?«

»Natürlich wisst Ihr es«, versicherte Isabela, während sie sich vorsichtig auf der Fensterbank niederließ. »Ich bin nur gekommen, um Euch meines Mitgefühls zu versichern – und um Euch meine Hilfe und meinen Beistand anzubieten.«

»Hilfe und Beistand?« Sibylla schaute sie an, blickte prüfend in die unschuldig, fast kindlich wirkenden Züge, hinter denen sich so viel Verschlagenheit verbarg. »Was hättest du mir wohl zu geben, Schwester?«, fragte sie dann mit unverhohlenem Spott.

»Nun«, entgegnete Isabela, »ich unterhalte Verbindungen, die …«

Sibylla hielt es nicht mehr aus. »Glaubst du, ich wüsste es nicht?«, fiel sie ihr barsch ins Wort. »Glaubst du, ich wüsste nicht, dass du hinter meinem Rücken gegen mich intrigierst? Dass du in Kontakt mit Raymond von Tripolis stehst, dem Feind der Krone?«

Isabelas kindhafte Züge verrieten Betroffenheit, ihr sonst so voller Mund wurde zu einem schmalen Strich.

»Ich weiß das alles«, versicherte Sibylla, nun wieder gefasster, »obschon ich mir wünschte, es wäre nicht so. Dann könnte ich mir wenigstens einreden, dass du es ehrlich meinst.«

»Ich meine es ehrlich, Schwester«, beteuerte Isabela, wobei sich ihre schmalen Augen flehend weiteten. »Ich schwöre bei unserem Vater, dass ich nie etwas unternommen habe, um dir zu schaden!«

»Nein? Warum paktierst du dann mit unseren Feinden?«

»Graf Raymond hat niemals seine Feindschaft gegenüber der Krone erklärt«, entgegnete Isabela. »Er wurde zu Unrecht ausgeschlossen und aus dem Adelsrat verstoßen.«

»Zu Unrecht?« Sibylla holte tief Luft. »Hast du schon vergessen, dass er die Rechtmäßigkeit unserer Herrschaft nicht anerkennen wollte? Dass er die Edlen gegen uns aufgewiegelt hat? Was hätte der König deiner Ansicht nach tun sollen?



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